Tag #8 – Infos aus der Homebase

Auch heute hat Irgendlink – sogar für ein paar Tage und Nächte – wieder ein Dach über dem Kopf.

In Kaiseraugst, am Bahnhof, habe ich ihn aufgeladen, das Rad in den Kofferraum gepackt, und ihn nach Hause gefahren. In mein Zuhause.

Doch zuerst gab’s lecker Pizza im Bahnhöfli Kaiseraugst.

  

Unser täglich Track? Dazu bitte hier ⇒ klicken zum Schauen. Heute hat er allerdings ein paar Lücken wegen schlechten Netzempfangs.

Die heutige Etappe gibt es wie immer auch noch hier ⇒ klicken.

Nur ein quantenphysisches, eigenartiges Experiment in einem Camp-like-State #Gibrantiago

Wenn ich den Weg zurückschaue, immerhin eine Woche bin ich schon unterwegs nach Süden, so hat sich von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde, manchmal sogar von Minute zu Minute ein unvorhersehbares Etwas entwickelt, das mich selbst in Erstaunen versetzt.

Vorgestern Abend etwa stehe ich vor der Anzeigetafel für die Züge am Bahnhof von Laissey und starre den riesigen Monitor an, auf dem die Züge angekündigt werden. Man kann von hier aus nach Besançon, nach Montbéliard, nach Dijon und nach Belfort fahren. Stündlich gehen die Züge und wenn ich den nächsten Richtung Basel (via Montbéliard) kriegen will, muss ich das Radel nur durch die Unterführung schieben und einfach einsteigen. Automaten gibt es keinen. Das Bahnhofsgebäude ist vernagelt, stillgelegt. Offenbar kauft man die Fahrkarten im Zug.

In diesem Moment, die Anzeigetafel betrachtend, bin ich in einem eigenartig überlagerten Zustand zwischen Zugfahren und auf dem Flussradweg weiterradeln. Fast wie ein quantenphysisches Teilchen, von dem die beobachtenden Wissenschaftler nicht wissen, wie es sich verhalten wird. Selbst ich weiß es nicht.

Es ist somit ein Wunder, dass ich einen Tag später in einem Café in L’Isle-sur-le-Doubs sitze, wieder in so einer Art ‘Cat like state’ (Schrödingers quantentheoretisches Experiment mit der Katze lässt grüßen) – was werde ich als nächstes tun? Es schneit fette Flocken pappig nassen Schnees und alle Vernunft sagt, geh zum Bahnhof, nimm den Zug nach Basel. Ich trinke Kaffee. Das Radio beschallt den Raum mit Reggaemusik. Am Tresen steht einer und raucht. Derweil kurvt der nagelneue Kehrroboter der Bedienung durch den Raum und fegt die Kippen auf und die Papierchen vom Zucker. Ein zweiter Kaffee. Ich frage die Tweetosphäre (per Kurznachricht auf Twitter), wie es wohl weitergeht. @der_emil erklärt mir den Weg zum Bahnhof. @wortvoll meldet Wetterbesserung ab 15 Uhr. Und tatsächlich, der Schnee lässt nach. Das quantenphysische Teilchen namens Irgendlink nimmt den Zustand Radler an, statt, wie der imaginäre Wissenschaftler wohl vermutet hätte, Bahnfahrer.

Weiter gehts auf dem wunderbaren Flussradweg Richtung Montbéliard (die alte württembergische Exklave Mömpelgard, wie mir @jot_el vor einigen Tagen erklärt hat).

Der Schnee kommt nicht wieder bis abends 18 Uhr. Schon habe ich Mömpelgard durchquert, passiere schweren Herzens ein Buchsbaumlabyrinth in einem Park (was wäre ich darin gerne eine Weile umhergeirrt, aber wegen der Nähe der Dämmerung will ich mich schnell aus der Stadt schaffen und einen Zeltplatz oder ein Zimmer finden).

Drei andere Radler begegnen mir. Nicht glücklich sehen sie aus in ihren Regenklamotten und mit Rucksäcken und Packtaschen. Gegen 18 Uhr schaue ich mich nach einem Zeltplatz um und in einer Apotheke, in der ich um Wasser fragen will, frage ich aufs Geratewohl auch nach einem Zimmer im Dorf und die Apothekerin nimmt beherzt das Telefonbuch, sucht eine Nummer, wählt, während ich quantenphysisches, eigenartiges Experiment mich von einem ‘Camp like State’ in einen ‘Bed and Breakfast like State’ begebe. Schwupp habe ich ein Zimmer im kleinen Dorf Bourogne: über die Brücke bis zur Épicerie, links ab zum alten Waschhaus und da direkt gegenüber, Coté Grange.

Wo hätte ich vor einer Woche, als ich aufbrach mit dem Plan, östlich der Vogesen am Rhein entlang zu radeln, gedacht, dass ich westlich der Vogesen auf Kanalradwegen radele?

Hätte, hätte, Fahrradkette. 

Mein heutiger Plan: per Radel via Mulhouse bis nach Basel Badischer Bahnhof und dort per Zug nach Laufenburg fahren. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass es so kommt.

Irgendwo streichelt jetzt bestimmt ein alter, verwirrter Quantenphysiker seinen weißen Bart und wundert sich.

Tag #7 – Infos aus der Homebase

Und gleich noch ein weiterer Morgen, an dem man nicht unbedingt freiwillig das Haus verlassen möchte.

Irgendlink überlegte sich, wie er auf Twitter verriet, ob er am nächsten Bahnhof den Zug nach Basel nehmen sollte und von dort … nun ja … doch es kam wieder alles anders.

«Clerval per Radel. Nicht Basel per Zug. Ich muss verrückt sein.» So twittert er im Laufe des frühen Nachmittags. «Und über der ganzen Sphäre baumelt damoklesk die Frage, wo ist der Bahnhof, wann hört es endlich auf zu schneien.»

Tatsächlich! Auf einmal hörte es auf, wie Twitterfreundin @FrauWortvoll vorausgesagt hatte.

Zwar hat er das per Mail angefragte Zimmer nicht bekommen, zum Glück, denn nach Dannemarie wären es noch weitere 30 km gewesen.

Heute hat er in Bourogne sein Nachtlager gefunden. Diesmal sogar ohne großes Suchen. Schön warm und ein Dach über dem Kopf hat was!

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Das kälterote Gesicht eines Fremden, ein zwei Sekunden der Begegnung irgendwo auf langem Weg #Gibrantiago

Manchmal taucht das von Kälte gerötete Gesicht auf. Abends in der Herberge, morgens, oder irgendwann unterwegs, mitten in Wäldern und Feldern. Verfolgt vom Märzwinter meine ich dann, die Kälte noch intensiver zu spüren, als ich es auf dem Fahrrad, den ganzen Tag der Witterung ausgesetzt, schon tue. Dann fühlen sich die Zehen noch ein bisschen tauber an und das T-Shirt klebt am Leib und ein Gefühl von beinahe ewiger Ungewaschenheit breitet sich aus.

Der Mann begegnete mir auf dem Kanalradweg bei Épinal. Er trug abgewetzte Tarnkleidung, einen kleinen Rucksack, seine Hände baumelten im rhythmischen Gang.

Wie lange dauert eine Begegnung, wenn man nicht stehenbleibt, wenn der eine mit fünf Kilometern pro Stunde auf den anderen mit fünfzehn Kilometern pro Stunde trifft, man sich kurz grüßt, zulächelt, weitertreibt?

Sein Gesicht war knallrot von dem kühlen Wind, der mich vorantrieb, ihm entgegenschlug. Verdrossenheit mit einem guten Schuss Weitergehen, las ich darin. Das hat sich eingebrannt und damit einhergehend die Frage, wie wohl dieser Mann lebt, ob er, wie zu vermuten, ein Landstreicher ist, wo kommt er unter in diesen kalten Nächten? Oder ist er vielleicht doch nur ein ganz normaler Kerl mit Bude irgendwo, der zu Fuß von A nach B läuft?

Regen, Regen, Regen den ganzen gestrigen Tag. So zumindest behauptet die Wetter-App. Und als ich gegen elf Uhr nur zwei Kilometer von meiner Pilgerherberge in Vy-lès-Filain in einem Bushäuschen sitze, habe ich große Lust, alles hinzuschmeißen, oder zurück in die Herberge. Dennoch lege ich die schweren Regenklamotten an und stürze mich ins Unwetter. Zurück auf den Bahntrassenweg, der ein Zubringer zum Eurovelo 6 am Doubs ist. Zumindest finde ich immer wieder Schilder, auf denen geschrieben steht ‚vers Eurovelo 6‘ mit einem schönen Europaflaggenzeichen. Manchmal steht auch eine Kilometerangabe dabei. Insgesamt dreißig Kilometer sind es bis zur Fahrradautobahn, die von Budapest bis zum Atlantik führe, sagte mir jemand.

Irgendwann reißt der vordere Schaltzug. Keine Muße, den jetzt bei Wind und Wetter auszutauschen. Bloß nicht stehenbleiben. Bloß nicht auskühlen. Wind meist von vorne rechts. Neun Gänge reichen eigentlich, merke ich. Schneller als zwanzig fahre ich auch abwärts selten wegen der Kälte.

Der Regen lässt nach. Der Regen erstarkt. Der Regen klatscht mir ins Gesicht. Ich schwitze. Wohliges Komfortradeln geht anders. Jetzt bloß keinen Platten. Alle vier Kilometer ein Dorf ist-gleich Bushäuschen ist-gleich Notunterkunft.

Dann ein Rumpeln im Südwesten. Düstre Wolke, schnell näher kommend. Gewitter um diese Jahreszeit? Gerade habe ich Saint-Hilaire durchquert. Rolle abwärts bis zur Bushaltestelle in Vennans. Noch etwa fünf Kilometer bis zum Doubs. Weltuntergang. Der frisch gestutzte Kastanienbaum, ein Wahrzeichen des Ortes, unterstreicht die Trostlosigkeit. Mein Bushäuschen wird dem Unwetter nicht standhalten. Es ist zur Wetterseite offen, hat Ritzen, innendrin ist alles nass vom Regen am Morgen.

Da kommt das Vordach eines nigelnagelneuen Gebäudes fünfzig Meter daneben gerade recht. Die Mairie, die Ortsverwaltung. Offen. Man begrüßt mich freundlich, bittet mich, den Regen im Wartebereich abzuwarten, nein, Zimmer gebe es in Vennans nicht. Aber in Saint-Hilaire sei eine Gîte. Zurück berghoch. Die Pension in Laissey am Doubs sei noch zu. Aus der Tweetosphäre bietet mir Twitterfreund @RecumbentTravel an, ein Hotelzimmer im sieben Kilometer entfernten Marchaux zu spendieren. Da müsste ich über eine Nationalstraße gegen den Wind hinradeln und es wäre ein Hotel an einem Autohof. Im Kopf wird es plötzlich hektisch. Gäste gehen nachts ein und aus. LKW-Fahrer rülpsen und lärmen, zu viele Menschen auf zu kleinem Raum. Dennoch. Aufwärmen, abtrocknen, freies WLAN. Schon gebe ich grünes Licht, will mich von @RecumbentTravel verwöhnen lassen, da klart der Himmel auf, wird blau und blauer und die Sonne kommt heraus. Ein eindeutiges Zeichen. Runter zum Doubs. Der Eurovelo 6 ist ein Wohlfühlradweg. Kaum Steigung, gut beschildert. So schaffe ich es bis Baume-les-Dames, versuche unterwegs das ein oder andere Zimmer zu mieten. Vergeblich. Alles noch zu, vorsaisonbedingt. Der Camping von Clerval, direkt neben Baume-les-Dame lockt und entpuppt sich als reiner Wohnmobilplatz. Kein Platz für Zelte, kein Platz für Europenner. So läuft der Hase. Aber Claire in der Rezeption telefoniert für mich etliche Hotels und Herbergen ab. Entweder sind sie noch zu, oder mit 89€ je Nacht für ein Zimmer mit Swimingpool zu teuer, oder sie sind belegt. Eine halbe Stunde lang telefoniert sie für mich in die Dämmerung und gibt und gibt nicht auf. Nebenbei managt sie die im Fünf-Minuten-Takt einfliegenden Wohnmobilisten und -mobilistinnen. Ein einziger einsamer Becher Honig steht zum Verkauf in der Rezeption. Ein Postkartenständer, jede Menge Prospekte und Flyer, und in der Ecke wartet ein Kühlschrank darauf, mit Leckeis bestückt und angeschlossen zu werden.

Da, plötzlich, ein Zimmer, nicht weit, deux ou trois kilomètres à Baume-les-Dames. Claire zeichnet mir den Weg auf. Brücke, Kreisel, rue de la prairie, Schule, Kreisel, rue Victor Ernest oder Ernest Victor, monter, monter, monter (berghoch, berghoch, berghoch), links, zweites Haus aus Stein. Madame Ouillemin.

Gerettet. Perfekt. Aber. Gar nicht so einfach, das Haus zu finden. Auf dem Track, den Frau SoSo im vorigen Artikel gepostet hat, erkennt man die Verirrungen, ahnt man, wie ein Radler mit gelber Jacke durch die Dämmerung ächzte, und erst drei Begegnungen später das heiß ersehnte Zimmerchen fand.

Gerettet im Warmen war es dann wieder da, das kälterote Gesicht eines Fremden, ein, zwei Sekunden der Begegnung irgendwo auf langem Weg. Wie es ihm wohl geht?

Tag #6 – Infos aus der Homebase

Was für ein garstiger Tag aber auch!

«In einem Bushäuschen in Vy-lès-Filain regenabwarten. Ein Mann kommt herüber und empfiehlt mir eine gutherzige Frau, die Pilgern Essen macht.» So twitterte er heute Vormittag. Und später so: «Ich habe nichts gegen Bushaltestellen. Einige meiner besten Freunde sind Bushaltestellen.»

Auf Twitter bietet der Liege-Nordkap-Radler @RecumbentTravel an, ihm ein IBIS-Hotelzimmer zu buchen, in der Nähe, doch Irgendlink zögert. Und schließlich wendet sich das Blatt. Die Sonne zeigt sich und er radelt nach Baume-les-Dames, wo er ein gemütliches Zimmer aufgetan hat … Das hier:

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Jetzt kocht er sich etwas Leckeres in der Hausküche. Alles andere wird er sicher bloggen.

Und ja, sogar heute gibt es wieder einen Track. Ihr dürft hier ⇒ klicken zum Schauen.

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Radlerlatein und Marmeladenexperimente #Gibrantiago

Heute der erste Tag, an dem ich lieber zurück, als nach vorne schaue. Die Schlechtwetterprognose in der Smartphone-App baumelt wie ein Damoklesschwert. Dabei sieht es, wenn ich hier aus dem Fenster der Herberge ‚La Caroline‘ in Filain schaue, eigentlich nur grau aus. Kein Regen. Das Thermometer, das ich nachts rausgelegt habe auf die Fensterbank, zeigt vier Grad. Drinnen hat es zwölf. Ich sitze im Schneidersitz auf einem der vier Betten, auf dem, in dem ich auch geschlafen habe, und tippe direkt auf dem Smartphoneschirm. Die externe Tastatur ist nun endgültig kaputt. Fast komme ich mir vor wie auf dem Camino 2010, als ich ‚Schon wieder ein Jakobsweg‘ auf dem glatten Minibildschirm tippte. Mein allererstes Livereiseprojekt.

Gestern war ein kalter Tag. Durch Weideland und Wälder ackerte ich auf und ab bis nach Vesoul, die letzten 33 Kilometer auf der D10, die zwar nicht allzu stark befahren war, aber dennoch nervte. Ich hatte mich so sehr an Kanalradwege und kaum benutzte Ministräßchen gewöhnt.

Immer nur kurze Stopps, um etwas zu essen und zu trinken. Kalter Südwestwind. Seichte Sonne. So stelle ich mir die Luft in Peking vor bei Smogalarm. Nur in braun und dreckig und unatembar.

Dann Vesoul. Große Stadt. Wohnblocks. Sinti-Wohnwagensiedlung am Ortseingang. Supermärkte, Elektronikläden, Kanalarbeiter, Baustellen, Polizisten, ein Stau, ein Park, etwas das aussieht wie ein Kurhaus. Backtempel. Ich hatte nicht den Nerv, mich länger in der Stadt aufzuhalten. Die Wohnblocks bedrückten mich. Menschen, die dicht auf dicht mit Menschen leben. Müssen. Nach einer Touristinfo suchte ich erst gar nicht, sondern radelte direkt, dem GPS folgend zu dem Radweg, der eingezeichnet ist und der aus der Stadt hinausführt nach Osten. Acht Grad zeigt ein Thermometer. Mein Gefühl sagte vier.

Am Radweg fragte ich einen Jungen, wie weit der Weg wohin führt. Zwanzig Kilometer Deine Richtung und dass man nur hier in Vesoul etwas zu essen kaufen könne. Da draußen an der Piste Verte gibt es nichts, ah Moment, doch, da könnte eine Épicerie sein in einem der Dörfer.

Da ich genug Essen hatte, radelte ich ohne einzukaufen auf der ehemaligen Bahntrasse. Stets leicht berghoch. Bis zu jener Épicerie, ein Lebensmittelladen in Dampierre sur Linotte. Am Radweg hat man sogar einen Lageplan mit Hinweisen auf Metzgerei, Bäckerei und Den Laden aufgehängt. Das ist alles andere als üblich. An französischen Radwegen findet man kaum Informationen über die Umgebung. Sogar Bains-les-Bains habe ich auf der Radroute Nr. 50 umfahren, ohne auch nur einen winzigen Hinweis auf die Stadt vorzufinden.

Es scheint, als koche hier in der Gegend jede Gemeinde ihr eigenes Radlersüppchen. Hinweisschilder gibt es oft. Aber nur aufs nächste Dorf. Wenn man Glück hat, findet man eines der seltenen Hinweisschilder auf den Eurovelo 6, der am Doubs entlang führt. ‚Vers Eurovelo 6 Belfort 75 km‘ konnte ich irgendwo vor Vesoul lesen. ‚Vers Eurovelo 6 43 km‘ stand kürzlich an meinem Bahntrassenweg. Das mündet dann in Ougney auf den Doubsradweg.

Radlerlatein.

Gerade hab ich gefrühstückt. Madame Magaud macht wunderbare Marmeladenexperimente. Zucchinimarmelade mit Limette zum Beispiel. Tomate-Aprikose usw.

Draußen platscht nun doch Regen. Ringe in Pfützen, mal stärker, mal schwächer.

Ich will nicht da raus, aber hierbleiben ist auch keine Option. Nun denn teste ich die frisch imprägnierten Regenkleider.

Tag #5 – Infos aus der Homebase

Heute hat Irgendlink ein warmes Bett. In Filain hat er eine Herberge, ein Gästezimmer, ein chambre d’hôtes, gefunden. Bei La Caroline, Madame Magaud persönlich.

Es sieht so gemütlich aus, dass ich mich gerne dorthin beamen möchte.

la caroline_filainAuch heute gibt es einen Track. Ihr könnt hier ⇒ klicken zum Schauen.

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Du Radel, ich Hornbrille und Fiat #Gibrantiago

Verflixt. Die Streichhölzer sind alle. Zwar gibt es Ersatzstreichhölzer in den Packtaschen, draußen am Radel, aber ich habe keine Lust, das Zelt zu verlassen. Eben noch habe ich Kaffee gekocht mit dem letzten Streichholz, dann arglos den Kocher ausgemacht, der aber eine prima Zeltheizung ist. Draußen ist alles weiß. Die bisher kälteste Nacht. In Fontenoy-le-Château, bis wohin der Kanalradweg ab Épinal am Canal de l’Est führt, war partout kein Zimmer zu kriegen. Alles vernagelt. Viele Häuser verlassen, mit ‚À Vendre‘-Schildern gespickt, das ganze Dorf. Zudem war gestern Montag. Und montags haben auf dem Land hier in der Gegend alle Läden zu. Der einzige Hoffnungsschimmer ist eine Bäckerei, in der es auch Konserven zu kaufen gibt. Komme um 16:30 wieder, hängt ein handgeschriebener Zettel an der Tür. Der Bäcker begegnet mir auf der Straße um viertel nach vier, er muss zur École, zur Schule, das Kind abholen. Und da muss nun das ganze Dorf warten vor dem Laden. Ein Typ mit Hornbrille, der mit einem winzigen, roten Fiat knatternd vorfährt. Klingt nach Zweitaktmotor, das Auto. Und jener andere Mann, den ich kaum verstehe wegen seines Dialekts. Unisono sagen alle, es gibt keine Zimmer in dem Dorf. Kein Hotel. Der Camping ist zu. Das Café, montags geschlossen und der Laden auch. Die Schule, gleich um die Ecke bringt Leben ins Dorf. Busse fahren vor, Schulaus um 16:30. Vereinzelte Eltern, zu Fuß, lümmeln vor dem Schultor. Reden miteinander. Dann quellen die Kinder aus dem Schulhaus. Dann öffnet die Bäckerei, kaum hundert Meter davon entfernt. Dann ist der Laden plötzlich rappelvoll. Ein aufgeregter Junge kommt herein und redet auf alle ein und als er wieder hinaus geht, an mir vorbei, redet er auch auf mich ein, die Scheißerei sei ausgebrochen, soviel verstehe ich, ein Virus, man müsse aufpassen. Kurz nach fünf verlasse ich das Dorf über die D40 nach Saint-Loup-sur-Semouse. Da gebe es Zimmer, sagt man mir, aber es seien 15 Kilometer und zwar bergauf. Kaum Netz im ganzen Dorf. Ich sende Frau SoSo verzweifelete Botschaften, dass ich vielleicht nicht mehr erreichbar sein werde die nächsten Stunden, quetsche Bit um Bit durchs fluktuierende Netz und laufe, das Smartphone hochhaltend, orientierungslos wie ein Huhn hin und her. Vielleicht die ganze Nacht werde ich nicht erreichbar sein. Das französische Mobilfunknetz ist eine Scheibe und wer sich zu nah an den Rand wagt, der stürzt ab. Das Dorf ist ein Idyll. Mit dem Typ mit Hornbrille und knatterndem Fiat würde ich gerne die Leben tauschen. Ich bin berauscht von seiner Biografie, die ich mir innerhalb Sekundenbruchteilen zurechtphantasiert habe: Ex Fremdenlegionär, Schäfchen ins Trockene gebracht, alles Übel dieser Welt verdrängt in den Tiefen der eigenen Seele, nun Landschaftsmaler, lebt von geraubtem Gold in einem zerfallenden alten Häuschen. Oder schreibt. Ob er sich innerhalb der wenigen Sekunden, die wir einander begegneten auch so ein Bild von mir zurecht phantasiert hat? Er würde mich vielleicht für verrückt halten, wenn ich ihm vorschlüge: “Du Radel, ich Hornbrille und Fiat”. Dennoch.

Am Ortsrand vermietet einer eine Garage. Ich überlege, ob ich sie vielleicht für eine Nacht mieten soll, das Zelt darin aufbauen. Besser, als bei zu erwartenden Minusgraden draußen auf einer Weide. Dennoch weiter, durch ein schmales Tal und nach wenigen Kilometern bin ich plötzlich oben in einem Weideland mit einzelnen Gehöften und, oh Wunder, das französische Mobilfunknetz ist gar keine Scheibe, es geht weiter, ich habe wieder Empfang. Beim Dorf Cuve finde ich in der Dämmerung eine schöne Wiese. Die Bergaufradelei hat mich erwärmt. Das macht Mut, das Zelt aufzubauen. Nach achtzig Kilometern bin ich müde, keine Lust, mich in Saint-Loup nach einem möglicherweise potemkinschen Zimmerchen durchzufragen. Ein guter Platz, obschon er direkt unter einer Flugroute zu liegen scheint, in regelmäßigem Abstand donnern Flieger durchs Idyll.

Tag #4 – Infos aus der Homebase

Aus Charmes kam heute Morgen die erste Threema-SMS von Irgendlink, später eine aus Fontenoy-le-Château, von wo ich von seinem Plan erfuhr, nach St. Loup zu radeln. Wo immer das ist. Im Büro hatte ich keine Muße zum Kartenstudium, leider. Jetzt, auf der Karte, sehe ich Saint-Loup-sur-Semouse … könnte passen. Doch bereits kurz vorher wurde er fündig. Unser aller radelnder Schreiberling hat nämlich einen tollen Platz bei Cuve gefunden und soeben das Zelt aufgebaut.

Wieder hat er heute einen Track laufen lassen. Ihr könnt hier ⇒ klicken zum Schauen.

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Von Lorquin nach Chamagne #Gibrantiago

Blick aus dem Fenster, schreib’s groß FENSTER. Nebel sickert. Blick schweift über Dächer und Schlote, endet an grauen Mauern mit anderen Fenstern. Je weiter die Dinge weg, desto grau. Der Nebel ist eine Graumachmaschine. Der natürliche Feind der Sonne.Das Moseltal hat bestimmt viel Nebel. Aber es ist auch ein Idyll. Weideland und Gärten und Obstanlagen, wie war nochmal der französische Name für Obstanlage? Meine Gastgeber Marie und Dominik haben mir viel erzählt über die Gegend, das südliche Lothringen, das Obst, die Gärten und das 300 Jahre alte Haus, das einst, wenn ich es richtig verstanden habe, vom Polenkönig Stanislaus als Jagdhaus erbaut wurde. Daher auch der riesige alte Kamin im Erdgeschoss, in dem man gut eine Wildsau aufgespießt grillen könnte.

Axtbehauene Holzbalken, dazwischen modern isolierte und geweißte Decke. Die Zentralheizung brummt. Es ist warm. Bettdecke. Kuschelmatratze. Ein uralter, dunkelbrauner Intarsienschrank.

Was hab ich gefroren gestern, als ich aus den Feldern östlich von Bayon hinabgeradelt war, die Route verlief über ruhige Landstraßen, umspielt von eisigem Nordostwind. Heute ein Zimmer, sagte ich mir und radelte unbekümmert am einzigen Hotel in Bayon vorbei. Im Nachbarort wird es schon etwas geben, eine Auberge. Wir sind hier an der Mosel. Da gibt es Touristen. Wanderer. Radler. Pah. Nicht im Winter. Eine geschlossene Gîte d’ étape. Das sind glaube ich so eine Art Ferienhäuser, gekennzeichnet mit einem grüngelben Symbol, worauf Frankreich abgebildet ist.

Im nächsten Dorf, Chamagne, gibt es zwei Restaurants. Gutso. Wo Essen, da Schlafen. Das erste Restaurant ist zu. Ich erkenne ein paar Leute durchs Fenster. Die Belegschaft? Niemand steht auf, um mir Infos zu geben.

Marie und Dominik sind die Einzigen, die ich nach Zimmern fragen kann. Nein, sie wissen keine Auberge in Chamagne. Aber in Charmes gibt es ein Hotel. 4,5 Kilometer bis zum Kreisverkehr, über die Brücke, an der Ampel scharf rechts. Sie erklären es mir zweimal und ich muss immer wieder darüber staunen, wie Menschen anderen Menschen den Weg erklären. Es ist ein Fest. Schon sitze ich wieder auf dem Radel, da rufen mich die Beiden zurück. Das Haus sei groß, ich könne ein Zimmer haben.

Aber keine Umstände, sag ich, da lacht Marie, sie haben fünf Kinder und zwölf Enkel, da sei sie das Bettenmachen und Zimmervorbereiten gewöhnt.

Später beim Abendessen, zu dem ich natürlich auch eingeladen bin, kommt mir ein Gedanke in den Sinn, den ich schon morgens hatte: das Bild von den Menschen und Europa, das man in den Sozialen Medien bekommen kann, will so ganz und gar nicht mit dem übereinstimmen, was mir hier und jetzt hier draußen begegnet.