Tag #7 – Infos aus der Homebase

Und gleich noch ein weiterer Morgen, an dem man nicht unbedingt freiwillig das Haus verlassen möchte.

Irgendlink ĂŒberlegte sich, wie er auf Twitter verriet, ob er am nĂ€chsten Bahnhof den Zug nach Basel nehmen sollte und von dort … nun ja … doch es kam wieder alles anders.

«Clerval per Radel. Nicht Basel per Zug. Ich muss verrĂŒckt sein.» So twittert er im Laufe des frĂŒhen Nachmittags. «Und ĂŒber der ganzen SphĂ€re baumelt damoklesk die Frage, wo ist der Bahnhof, wann hört es endlich auf zu schneien.»

TatsÀchlich! Auf einmal hörte es auf, wie Twitterfreundin @FrauWortvoll vorausgesagt hatte.

Zwar hat er das per Mail angefragte Zimmer nicht bekommen, zum GlĂŒck, denn nach Dannemarie wĂ€ren es noch weitere 30 km gewesen.

Heute hat er in Bourogne sein Nachtlager gefunden. Diesmal sogar ohne großes Suchen. Schön warm und ein Dach ĂŒber dem Kopf hat was!

Unser tĂ€glich Track? Dazu bitte hier ⇒ klicken zum Schauen.

Die heutige Etappe gibt es wie immer auch noch hier ⇒ klicken.

Das kÀlterote Gesicht eines Fremden, ein zwei Sekunden der Begegnung irgendwo auf langem Weg #Gibrantiago

Manchmal taucht das von KĂ€lte gerötete Gesicht auf. Abends in der Herberge, morgens, oder irgendwann unterwegs, mitten in WĂ€ldern und Feldern. Verfolgt vom MĂ€rzwinter meine ich dann, die KĂ€lte noch intensiver zu spĂŒren, als ich es auf dem Fahrrad, den ganzen Tag der Witterung ausgesetzt, schon tue. Dann fĂŒhlen sich die Zehen noch ein bisschen tauber an und das T-Shirt klebt am Leib und ein GefĂŒhl von beinahe ewiger Ungewaschenheit breitet sich aus.

Der Mann begegnete mir auf dem Kanalradweg bei Épinal. Er trug abgewetzte Tarnkleidung, einen kleinen Rucksack, seine HĂ€nde baumelten im rhythmischen Gang.

Wie lange dauert eine Begegnung, wenn man nicht stehenbleibt, wenn der eine mit fĂŒnf Kilometern pro Stunde auf den anderen mit fĂŒnfzehn Kilometern pro Stunde trifft, man sich kurz grĂŒĂŸt, zulĂ€chelt, weitertreibt?

Sein Gesicht war knallrot von dem kĂŒhlen Wind, der mich vorantrieb, ihm entgegenschlug. Verdrossenheit mit einem guten Schuss Weitergehen, las ich darin. Das hat sich eingebrannt und damit einhergehend die Frage, wie wohl dieser Mann lebt, ob er, wie zu vermuten, ein Landstreicher ist, wo kommt er unter in diesen kalten NĂ€chten? Oder ist er vielleicht doch nur ein ganz normaler Kerl mit Bude irgendwo, der zu Fuß von A nach B lĂ€uft?

Regen, Regen, Regen den ganzen gestrigen Tag. So zumindest behauptet die Wetter-App. Und als ich gegen elf Uhr nur zwei Kilometer von meiner Pilgerherberge in Vy-lĂšs-Filain in einem BushĂ€uschen sitze, habe ich große Lust, alles hinzuschmeißen, oder zurĂŒck in die Herberge. Dennoch lege ich die schweren Regenklamotten an und stĂŒrze mich ins Unwetter. ZurĂŒck auf den Bahntrassenweg, der ein Zubringer zum Eurovelo 6 am Doubs ist. Zumindest finde ich immer wieder Schilder, auf denen geschrieben steht ‚vers Eurovelo 6‘ mit einem schönen Europaflaggenzeichen. Manchmal steht auch eine Kilometerangabe dabei. Insgesamt dreißig Kilometer sind es bis zur Fahrradautobahn, die von Budapest bis zum Atlantik fĂŒhre, sagte mir jemand.

Irgendwann reißt der vordere Schaltzug. Keine Muße, den jetzt bei Wind und Wetter auszutauschen. Bloß nicht stehenbleiben. Bloß nicht auskĂŒhlen. Wind meist von vorne rechts. Neun GĂ€nge reichen eigentlich, merke ich. Schneller als zwanzig fahre ich auch abwĂ€rts selten wegen der KĂ€lte.

Der Regen lĂ€sst nach. Der Regen erstarkt. Der Regen klatscht mir ins Gesicht. Ich schwitze. Wohliges Komfortradeln geht anders. Jetzt bloß keinen Platten. Alle vier Kilometer ein Dorf ist-gleich BushĂ€uschen ist-gleich Notunterkunft.

Dann ein Rumpeln im SĂŒdwesten. DĂŒstre Wolke, schnell nĂ€her kommend. Gewitter um diese Jahreszeit? Gerade habe ich Saint-Hilaire durchquert. Rolle abwĂ€rts bis zur Bushaltestelle in Vennans. Noch etwa fĂŒnf Kilometer bis zum Doubs. Weltuntergang. Der frisch gestutzte Kastanienbaum, ein Wahrzeichen des Ortes, unterstreicht die Trostlosigkeit. Mein BushĂ€uschen wird dem Unwetter nicht standhalten. Es ist zur Wetterseite offen, hat Ritzen, innendrin ist alles nass vom Regen am Morgen.

Da kommt das Vordach eines nigelnagelneuen GebĂ€udes fĂŒnfzig Meter daneben gerade recht. Die Mairie, die Ortsverwaltung. Offen. Man begrĂŒĂŸt mich freundlich, bittet mich, den Regen im Wartebereich abzuwarten, nein, Zimmer gebe es in Vennans nicht. Aber in Saint-Hilaire sei eine GĂźte. ZurĂŒck berghoch. Die Pension in Laissey am Doubs sei noch zu. Aus der TweetosphĂ€re bietet mir Twitterfreund @RecumbentTravel an, ein Hotelzimmer im sieben Kilometer entfernten Marchaux zu spendieren. Da mĂŒsste ich ĂŒber eine Nationalstraße gegen den Wind hinradeln und es wĂ€re ein Hotel an einem Autohof. Im Kopf wird es plötzlich hektisch. GĂ€ste gehen nachts ein und aus. LKW-Fahrer rĂŒlpsen und lĂ€rmen, zu viele Menschen auf zu kleinem Raum. Dennoch. AufwĂ€rmen, abtrocknen, freies WLAN. Schon gebe ich grĂŒnes Licht, will mich von @RecumbentTravel verwöhnen lassen, da klart der Himmel auf, wird blau und blauer und die Sonne kommt heraus. Ein eindeutiges Zeichen. Runter zum Doubs. Der Eurovelo 6 ist ein WohlfĂŒhlradweg. Kaum Steigung, gut beschildert. So schaffe ich es bis Baume-les-Dames, versuche unterwegs das ein oder andere Zimmer zu mieten. Vergeblich. Alles noch zu, vorsaisonbedingt. Der Camping von Clerval, direkt neben Baume-les-Dame lockt und entpuppt sich als reiner Wohnmobilplatz. Kein Platz fĂŒr Zelte, kein Platz fĂŒr Europenner. So lĂ€uft der Hase. Aber Claire in der Rezeption telefoniert fĂŒr mich etliche Hotels und Herbergen ab. Entweder sind sie noch zu, oder mit 89€ je Nacht fĂŒr ein Zimmer mit Swimingpool zu teuer, oder sie sind belegt. Eine halbe Stunde lang telefoniert sie fĂŒr mich in die DĂ€mmerung und gibt und gibt nicht auf. Nebenbei managt sie die im FĂŒnf-Minuten-Takt einfliegenden Wohnmobilisten und -mobilistinnen. Ein einziger einsamer Becher Honig steht zum Verkauf in der Rezeption. Ein PostkartenstĂ€nder, jede Menge Prospekte und Flyer, und in der Ecke wartet ein KĂŒhlschrank darauf, mit Leckeis bestĂŒckt und angeschlossen zu werden.

Da, plötzlich, ein Zimmer, nicht weit, deux ou trois kilomĂštres Ă  Baume-les-Dames. Claire zeichnet mir den Weg auf. BrĂŒcke, Kreisel, rue de la prairie, Schule, Kreisel, rue Victor Ernest oder Ernest Victor, monter, monter, monter (berghoch, berghoch, berghoch), links, zweites Haus aus Stein. Madame Ouillemin.

Gerettet. Perfekt. Aber. Gar nicht so einfach, das Haus zu finden. Auf dem Track, den Frau SoSo im vorigen Artikel gepostet hat, erkennt man die Verirrungen, ahnt man, wie ein Radler mit gelber Jacke durch die DĂ€mmerung Ă€chzte, und erst drei Begegnungen spĂ€ter das heiß ersehnte Zimmerchen fand.

Gerettet im Warmen war es dann wieder da, das kÀlterote Gesicht eines Fremden, ein, zwei Sekunden der Begegnung irgendwo auf langem Weg. Wie es ihm wohl geht?

Tag #6 – Infos aus der Homebase

Was fĂŒr ein garstiger Tag aber auch!

«In einem BushĂ€uschen in Vy-lĂšs-Filain regenabwarten. Ein Mann kommt herĂŒber und empfiehlt mir eine gutherzige Frau, die Pilgern Essen macht.» So twitterte er heute Vormittag. Und spĂ€ter so: «Ich habe nichts gegen Bushaltestellen. Einige meiner besten Freunde sind Bushaltestellen.»

Auf Twitter bietet der Liege-Nordkap-Radler @RecumbentTravel an, ihm ein IBIS-Hotelzimmer zu buchen, in der NĂ€he, doch Irgendlink zögert. Und schließlich wendet sich das Blatt. Die Sonne zeigt sich und er radelt nach Baume-les-Dames, wo er ein gemĂŒtliches Zimmer aufgetan hat … Das hier:

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Jetzt kocht er sich etwas Leckeres in der HauskĂŒche. Alles andere wird er sicher bloggen.

Und ja, sogar heute gibt es wieder einen Track. Ihr dĂŒrft hier ⇒ klicken zum Schauen.

Ebenfalls sehen könnt ihr die heutige Etappe hier ⇒ klicken.

Radlerlatein und Marmeladenexperimente #Gibrantiago

Heute der erste Tag, an dem ich lieber zurĂŒck, als nach vorne schaue. Die Schlechtwetterprognose in der Smartphone-App baumelt wie ein Damoklesschwert. Dabei sieht es, wenn ich hier aus dem Fenster der Herberge ‚La Caroline‘ in Filain schaue, eigentlich nur grau aus. Kein Regen. Das Thermometer, das ich nachts rausgelegt habe auf die Fensterbank, zeigt vier Grad. Drinnen hat es zwölf. Ich sitze im Schneidersitz auf einem der vier Betten, auf dem, in dem ich auch geschlafen habe, und tippe direkt auf dem Smartphoneschirm. Die externe Tastatur ist nun endgĂŒltig kaputt. Fast komme ich mir vor wie auf dem Camino 2010, als ich ‚Schon wieder ein Jakobsweg‘ auf dem glatten Minibildschirm tippte. Mein allererstes Livereiseprojekt.

Gestern war ein kalter Tag. Durch Weideland und WĂ€lder ackerte ich auf und ab bis nach Vesoul, die letzten 33 Kilometer auf der D10, die zwar nicht allzu stark befahren war, aber dennoch nervte. Ich hatte mich so sehr an Kanalradwege und kaum benutzte MinistrĂ€ĂŸchen gewöhnt.

Immer nur kurze Stopps, um etwas zu essen und zu trinken. Kalter SĂŒdwestwind. Seichte Sonne. So stelle ich mir die Luft in Peking vor bei Smogalarm. Nur in braun und dreckig und unatembar.

Dann Vesoul. Große Stadt. Wohnblocks. Sinti-Wohnwagensiedlung am Ortseingang. SupermĂ€rkte, ElektroniklĂ€den, Kanalarbeiter, Baustellen, Polizisten, ein Stau, ein Park, etwas das aussieht wie ein Kurhaus. Backtempel. Ich hatte nicht den Nerv, mich lĂ€nger in der Stadt aufzuhalten. Die Wohnblocks bedrĂŒckten mich. Menschen, die dicht auf dicht mit Menschen leben. MĂŒssen. Nach einer Touristinfo suchte ich erst gar nicht, sondern radelte direkt, dem GPS folgend zu dem Radweg, der eingezeichnet ist und der aus der Stadt hinausfĂŒhrt nach Osten. Acht Grad zeigt ein Thermometer. Mein GefĂŒhl sagte vier.

Am Radweg fragte ich einen Jungen, wie weit der Weg wohin fĂŒhrt. Zwanzig Kilometer Deine Richtung und dass man nur hier in Vesoul etwas zu essen kaufen könne. Da draußen an der Piste Verte gibt es nichts, ah Moment, doch, da könnte eine Épicerie sein in einem der Dörfer.

Da ich genug Essen hatte, radelte ich ohne einzukaufen auf der ehemaligen Bahntrasse. Stets leicht berghoch. Bis zu jener Épicerie, ein Lebensmittelladen in Dampierre sur Linotte. Am Radweg hat man sogar einen Lageplan mit Hinweisen auf Metzgerei, BĂ€ckerei und Den Laden aufgehĂ€ngt. Das ist alles andere als ĂŒblich. An französischen Radwegen findet man kaum Informationen ĂŒber die Umgebung. Sogar Bains-les-Bains habe ich auf der Radroute Nr. 50 umfahren, ohne auch nur einen winzigen Hinweis auf die Stadt vorzufinden.

Es scheint, als koche hier in der Gegend jede Gemeinde ihr eigenes RadlersĂŒppchen. Hinweisschilder gibt es oft. Aber nur aufs nĂ€chste Dorf. Wenn man GlĂŒck hat, findet man eines der seltenen Hinweisschilder auf den Eurovelo 6, der am Doubs entlang fĂŒhrt. ‚Vers Eurovelo 6 Belfort 75 km‘ konnte ich irgendwo vor Vesoul lesen. ‚Vers Eurovelo 6 43 km‘ stand kĂŒrzlich an meinem Bahntrassenweg. Das mĂŒndet dann in Ougney auf den Doubsradweg.

Radlerlatein.

Gerade hab ich gefrĂŒhstĂŒckt. Madame Magaud macht wunderbare Marmeladenexperimente. Zucchinimarmelade mit Limette zum Beispiel. Tomate-Aprikose usw.

Draußen platscht nun doch Regen. Ringe in PfĂŒtzen, mal stĂ€rker, mal schwĂ€cher.

Ich will nicht da raus, aber hierbleiben ist auch keine Option. Nun denn teste ich die frisch imprÀgnierten Regenkleider.

Tag #5 – Infos aus der Homebase

Heute hat Irgendlink ein warmes Bett. In Filain hat er eine Herberge, ein GĂ€stezimmer, ein chambre d’hĂŽtes, gefunden. Bei La Caroline, Madame Magaud persönlich.

Es sieht so gemĂŒtlich aus, dass ich mich gerne dorthin beamen möchte.

la caroline_filainAuch heute gibt es einen Track. Ihr könnt hier ⇒ klicken zum Schauen.

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Du Radel, ich Hornbrille und Fiat #Gibrantiago

Verflixt. Die Streichhölzer sind alle. Zwar gibt es Ersatzstreichhölzer in den Packtaschen, draußen am Radel, aber ich habe keine Lust, das Zelt zu verlassen. Eben noch habe ich Kaffee gekocht mit dem letzten Streichholz, dann arglos den Kocher ausgemacht, der aber eine prima Zeltheizung ist. Draußen ist alles weiß. Die bisher kĂ€lteste Nacht. In Fontenoy-le-ChĂąteau, bis wohin der Kanalradweg ab Épinal am Canal de l’Est fĂŒhrt, war partout kein Zimmer zu kriegen. Alles vernagelt. Viele HĂ€user verlassen, mit ‚À Vendre‘-Schildern gespickt, das ganze Dorf. Zudem war gestern Montag. Und montags haben auf dem Land hier in der Gegend alle LĂ€den zu. Der einzige Hoffnungsschimmer ist eine BĂ€ckerei, in der es auch Konserven zu kaufen gibt. Komme um 16:30 wieder, hĂ€ngt ein handgeschriebener Zettel an der TĂŒr. Der BĂ€cker begegnet mir auf der Straße um viertel nach vier, er muss zur École, zur Schule, das Kind abholen. Und da muss nun das ganze Dorf warten vor dem Laden. Ein Typ mit Hornbrille, der mit einem winzigen, roten Fiat knatternd vorfĂ€hrt. Klingt nach Zweitaktmotor, das Auto. Und jener andere Mann, den ich kaum verstehe wegen seines Dialekts. Unisono sagen alle, es gibt keine Zimmer in dem Dorf. Kein Hotel. Der Camping ist zu. Das CafĂ©, montags geschlossen und der Laden auch. Die Schule, gleich um die Ecke bringt Leben ins Dorf. Busse fahren vor, Schulaus um 16:30. Vereinzelte Eltern, zu Fuß, lĂŒmmeln vor dem Schultor. Reden miteinander. Dann quellen die Kinder aus dem Schulhaus. Dann öffnet die BĂ€ckerei, kaum hundert Meter davon entfernt. Dann ist der Laden plötzlich rappelvoll. Ein aufgeregter Junge kommt herein und redet auf alle ein und als er wieder hinaus geht, an mir vorbei, redet er auch auf mich ein, die Scheißerei sei ausgebrochen, soviel verstehe ich, ein Virus, man mĂŒsse aufpassen. Kurz nach fĂŒnf verlasse ich das Dorf ĂŒber die D40 nach Saint-Loup-sur-Semouse. Da gebe es Zimmer, sagt man mir, aber es seien 15 Kilometer und zwar bergauf. Kaum Netz im ganzen Dorf. Ich sende Frau SoSo verzweifelete Botschaften, dass ich vielleicht nicht mehr erreichbar sein werde die nĂ€chsten Stunden, quetsche Bit um Bit durchs fluktuierende Netz und laufe, das Smartphone hochhaltend, orientierungslos wie ein Huhn hin und her. Vielleicht die ganze Nacht werde ich nicht erreichbar sein. Das französische Mobilfunknetz ist eine Scheibe und wer sich zu nah an den Rand wagt, der stĂŒrzt ab. Das Dorf ist ein Idyll. Mit dem Typ mit Hornbrille und knatterndem Fiat wĂŒrde ich gerne die Leben tauschen. Ich bin berauscht von seiner Biografie, die ich mir innerhalb Sekundenbruchteilen zurechtphantasiert habe: Ex FremdenlegionĂ€r, SchĂ€fchen ins Trockene gebracht, alles Übel dieser Welt verdrĂ€ngt in den Tiefen der eigenen Seele, nun Landschaftsmaler, lebt von geraubtem Gold in einem zerfallenden alten HĂ€uschen. Oder schreibt. Ob er sich innerhalb der wenigen Sekunden, die wir einander begegneten auch so ein Bild von mir zurecht phantasiert hat? Er wĂŒrde mich vielleicht fĂŒr verrĂŒckt halten, wenn ich ihm vorschlĂŒge: „Du Radel, ich Hornbrille und Fiat“. Dennoch.

Am Ortsrand vermietet einer eine Garage. Ich ĂŒberlege, ob ich sie vielleicht fĂŒr eine Nacht mieten soll, das Zelt darin aufbauen. Besser, als bei zu erwartenden Minusgraden draußen auf einer Weide. Dennoch weiter, durch ein schmales Tal und nach wenigen Kilometern bin ich plötzlich oben in einem Weideland mit einzelnen Gehöften und, oh Wunder, das französische Mobilfunknetz ist gar keine Scheibe, es geht weiter, ich habe wieder Empfang. Beim Dorf Cuve finde ich in der DĂ€mmerung eine schöne Wiese. Die Bergaufradelei hat mich erwĂ€rmt. Das macht Mut, das Zelt aufzubauen. Nach achtzig Kilometern bin ich mĂŒde, keine Lust, mich in Saint-Loup nach einem möglicherweise potemkinschen Zimmerchen durchzufragen. Ein guter Platz, obschon er direkt unter einer Flugroute zu liegen scheint, in regelmĂ€ĂŸigem Abstand donnern Flieger durchs Idyll.

Tag #4 – Infos aus der Homebase

Aus Charmes kam heute Morgen die erste Threema-SMS von Irgendlink, spĂ€ter eine aus Fontenoy-le-ChĂąteau, von wo ich von seinem Plan erfuhr, nach St. Loup zu radeln. Wo immer das ist. Im BĂŒro hatte ich keine Muße zum Kartenstudium, leider. Jetzt, auf der Karte, sehe ich Saint-Loup-sur-Semouse … könnte passen. Doch bereits kurz vorher wurde er fĂŒndig. Unser aller radelnder Schreiberling hat nĂ€mlich einen tollen Platz bei Cuve gefunden und soeben das Zelt aufgebaut.

Wieder hat er heute einen Track laufen lassen. Ihr könnt hier ⇒ klicken zum Schauen.

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Von Lorquin nach Chamagne #Gibrantiago

Blick aus dem Fenster, schreib’s groß FENSTER. Nebel sickert. Blick schweift ĂŒber DĂ€cher und Schlote, endet an grauen Mauern mit anderen Fenstern. Je weiter die Dinge weg, desto grau. Der Nebel ist eine Graumachmaschine. Der natĂŒrliche Feind der Sonne.Das Moseltal hat bestimmt viel Nebel. Aber es ist auch ein Idyll. Weideland und GĂ€rten und Obstanlagen, wie war nochmal der französische Name fĂŒr Obstanlage? Meine Gastgeber Marie und Dominik haben mir viel erzĂ€hlt ĂŒber die Gegend, das sĂŒdliche Lothringen, das Obst, die GĂ€rten und das 300 Jahre alte Haus, das einst, wenn ich es richtig verstanden habe, vom Polenkönig Stanislaus als Jagdhaus erbaut wurde. Daher auch der riesige alte Kamin im Erdgeschoss, in dem man gut eine Wildsau aufgespießt grillen könnte.

Axtbehauene Holzbalken, dazwischen modern isolierte und geweißte Decke. Die Zentralheizung brummt. Es ist warm. Bettdecke. Kuschelmatratze. Ein uralter, dunkelbrauner Intarsienschrank.

Was hab ich gefroren gestern, als ich aus den Feldern östlich von Bayon hinabgeradelt war, die Route verlief ĂŒber ruhige Landstraßen, umspielt von eisigem Nordostwind. Heute ein Zimmer, sagte ich mir und radelte unbekĂŒmmert am einzigen Hotel in Bayon vorbei. Im Nachbarort wird es schon etwas geben, eine Auberge. Wir sind hier an der Mosel. Da gibt es Touristen. Wanderer. Radler. Pah. Nicht im Winter. Eine geschlossene GĂźte d‘ Ă©tape. Das sind glaube ich so eine Art FerienhĂ€user, gekennzeichnet mit einem grĂŒngelben Symbol, worauf Frankreich abgebildet ist.

Im nÀchsten Dorf, Chamagne, gibt es zwei Restaurants. Gutso. Wo Essen, da Schlafen. Das erste Restaurant ist zu. Ich erkenne ein paar Leute durchs Fenster. Die Belegschaft? Niemand steht auf, um mir Infos zu geben.

Marie und Dominik sind die Einzigen, die ich nach Zimmern fragen kann. Nein, sie wissen keine Auberge in Chamagne. Aber in Charmes gibt es ein Hotel. 4,5 Kilometer bis zum Kreisverkehr, ĂŒber die BrĂŒcke, an der Ampel scharf rechts. Sie erklĂ€ren es mir zweimal und ich muss immer wieder darĂŒber staunen, wie Menschen anderen Menschen den Weg erklĂ€ren. Es ist ein Fest. Schon sitze ich wieder auf dem Radel, da rufen mich die Beiden zurĂŒck. Das Haus sei groß, ich könne ein Zimmer haben.

Aber keine UmstĂ€nde, sag ich, da lacht Marie, sie haben fĂŒnf Kinder und zwölf Enkel, da sei sie das Bettenmachen und Zimmervorbereiten gewöhnt.

SpĂ€ter beim Abendessen, zu dem ich natĂŒrlich auch eingeladen bin, kommt mir ein Gedanke in den Sinn, den ich schon morgens hatte: das Bild von den Menschen und Europa, das man in den Sozialen Medien bekommen kann, will so ganz und gar nicht mit dem ĂŒbereinstimmen, was mir hier und jetzt hier draußen begegnet.

Tag #3 – Homebasegeplauder

WĂ€hrend ich diese Zeilen schreibe, sitzt Irgendlink, so stelle ich es mir vor, gemĂŒtlich an einem KĂŒchentisch. Die SMS verraten, dass seine Gastgeber, ein Ă€lteren Paar in Chamagne, ihn zu sich eingeladen haben. Er konnte duschen und bei ihnen ĂŒbernachten. Alles weitere werden wir spĂ€ter irgendwann erfahren.

Ich bin gespannt.

Irgendlink hat einen weiteren Track laufen lassen. Ihr könnt hier ⇒ klicken zum Gucken.

Ebefalls sehen könnt ihr die heutige Etappe hier ⇒ klicken.

Hier möchte man mal HÀuschen spielen #Gibrantiago

Die Éclaire-Weihe gebe ich mir in Lemberg in einer BĂ€ckerei. Das erste Éclaire im fremden Frankreich ist immer das Beste. Die pappigsĂŒĂŸen Dinger sehen aus wie eine Wurst im BlĂ€tterteigmantel, aber es sind mit Schoko- oder Vanillecreme gefĂŒllte Etwasse mit einem harten Überzug aus Schokolade oder Vanille.Verschmierten Mundes stehe ich vor der BĂ€ckerei. Sonne wĂ€rmt. Da spricht mich ein anderer Radler an, ob der Rahmen meines Radels aus Titan sei und streichelt ĂŒber das Rohr und zeigt mit dem Kinn hinĂŒber zu seinem Rennrad, das ganz genau die selbe Anthrazitfarbe hat. Alu sage ich, obschon ich mir dessen nicht so sicher bin. An seinem Helm klebt ein winziger RĂŒckspiegel. Wir schwatzen ein bisschen, wie alt, woher, wohin, dass er zehntausend Kilometer pro Jahr radelt und ĂŒber seine Radlerkollegen, der eine zum Beispiel, ein hagerer Kern, den man als KZ-Model casten könnte (hierbei zieht er die Backen zum Hungergesicht ein und lacht entschuldigend fĂŒr den politisch unkorrekten Vergleich), dieser Kumpel war neulich beim Arzt wegen einer Herzgeschichte und die Diagnose lautete, Arterie zu vierzig Prozent verstopft, zu vierzig Prozent, wiederholt er und erst ab sechzig gibt’s ’nen Stent und der Arzt habe diesem Kumpel, ich stelle ihn mir mittlerweile als einen durchtrainierten Triathleten vor, emfohlen, er solle doch mehr Sport treiben. Haha.

Von Lemberg radele ich ĂŒber mehrere Aufs und Abs durch Goetzenbruck und einen Weiler mit dem klangvollen Namen Huhnerscherr nach Wingen an der Moder, stets auf meiner alten Strecke ZweibrĂŒcken-Andorra (die Karte könnt ihr hier sehen ⇒ https://www.google.com/maps/ ) sozusagen durch mein 1500 Kilometer langes Wohnzimmer. Wunderschöne, kaum befahrene französische StrĂ€ĂŸchen hinauf nach Phalsbourg, einer alten Vauban-Festung und hinab zum Rhein-Marne-Kanal bei Lutzelbourg. Dort folge ich dem Kanalradweg westlich. Ein Radlerisches ZuckerstĂŒckchen ist sicher die kurze Passage hinauf nach Arzviller, die ĂŒber 13 Schleusen (oder mehr) in kurzer Folge durch ein felsiges Tal hinauffĂŒhrt, stets direkt neben dem Kanal. Zwei Kanalhafen sind in der stillgelegten Passage. Teilweise verlĂ€uft der Radweg auf einem Steg, der auf Stahlpfosten mitten im trockengelegten Kanal gebaut wurde. Die alten SchleusenhĂ€uschen sind meist renoviert und bewohnt. Nummer 12 und 13 wĂ€ren noch frei. Ruinen ohne Dach. Hier ein Radlertreff aufbauen, das wĂ€rs, oder ein Klettertreff, denn direkt dahinter erhebt sich roter Fels. Hier möchte man mal HĂ€uschen spielen, murmele ich. Mantrisch kurbelnd.

Es ist den ganzen Tag ĂŒber ziemlich kalt. Windig. Ich glaube, den höchsten Punkt hatte ich in La Petite Pierre erreicht, wo ich bei einem KĂ€sehĂ€ndler vor dem ChĂąteau ein StĂŒck sĂŒndhaft teuren KĂ€ses aus einer Molkerei in Riquewihr (nahe Colmar) kaufe. Er selbst wohne in Straßburg und sei sozusagen fliegender KĂ€sehĂ€ndler (macht lenkende Handbewegung). Der Junge friert, trotz seines dicken Anoraks. Wie hoch ist La Petite Pierre? FĂŒnfhundert Meter?

Ich frage mich auch, wie die vielen Motorradfahrer, die mir begegnen (tolle kurvenreiche Strecke), diese KÀlte verkraften. Ich als Radler habe immerhin die EigenwÀrme, die ich beim Berghochradeln produziere (beim AbwÀrtsrollen, friere ich mich fast kaputt, rolle langsam, bremse mich voran).

Hinter Arzviller folgt eine Art Ebene durch weites Weideland. In Guntzviller bin ich fast versucht, in einer Auberge abzusteigen, so kalt, so trist, doch dann erbitte ich Wasser bei einem wortkargen Kerl, der gerade seine EinkÀufe aus dem Auto lÀdt und bereite mich auf die Zeltplatzsuche vor. Am Kanalradweg Richtung Sarrebourg wird sich doch wohl ein PlÀtzchen finden.

Es gibt einen ZweitÀler-Radweg, der ungefÀhr meiner alten Strecke folgt, die ich 2000 und 2010 nach Andorra geradelt bin.

Nun sitze ich hier im Zelt nahe Lorquin auf einer rauhbereiften Wiese am ZweitĂ€lerradweg. Ziemlich trĂŒb heute. Ab elf soll es regnen, sagt die Wetterapp. Auf der Tastatur sind die Umlaute ausgefallen und das P und das Fragezeichen. Es knnte ein komischer Text werden.