Manchmal taucht das von KĂ€lte gerötete Gesicht auf. Abends in der Herberge, morgens, oder irgendwann unterwegs, mitten in WĂ€ldern und Feldern. Verfolgt vom MĂ€rzwinter meine ich dann, die KĂ€lte noch intensiver zu spĂŒren, als ich es auf dem Fahrrad, den ganzen Tag der Witterung ausgesetzt, schon tue. Dann fĂŒhlen sich die Zehen noch ein bisschen tauber an und das T-Shirt klebt am Leib und ein GefĂŒhl von beinahe ewiger Ungewaschenheit breitet sich aus.
Der Mann begegnete mir auf dem Kanalradweg bei Ăpinal. Er trug abgewetzte Tarnkleidung, einen kleinen Rucksack, seine HĂ€nde baumelten im rhythmischen Gang.
Wie lange dauert eine Begegnung, wenn man nicht stehenbleibt, wenn der eine mit fĂŒnf Kilometern pro Stunde auf den anderen mit fĂŒnfzehn Kilometern pro Stunde trifft, man sich kurz grĂŒĂt, zulĂ€chelt, weitertreibt?
Sein Gesicht war knallrot von dem kĂŒhlen Wind, der mich vorantrieb, ihm entgegenschlug. Verdrossenheit mit einem guten Schuss Weitergehen, las ich darin. Das hat sich eingebrannt und damit einhergehend die Frage, wie wohl dieser Mann lebt, ob er, wie zu vermuten, ein Landstreicher ist, wo kommt er unter in diesen kalten NĂ€chten? Oder ist er vielleicht doch nur ein ganz normaler Kerl mit Bude irgendwo, der zu FuĂ von A nach B lĂ€uft?
Regen, Regen, Regen den ganzen gestrigen Tag. So zumindest behauptet die Wetter-App. Und als ich gegen elf Uhr nur zwei Kilometer von meiner Pilgerherberge in Vy-lĂšs-Filain in einem BushĂ€uschen sitze, habe ich groĂe Lust, alles hinzuschmeiĂen, oder zurĂŒck in die Herberge. Dennoch lege ich die schweren Regenklamotten an und stĂŒrze mich ins Unwetter. ZurĂŒck auf den Bahntrassenweg, der ein Zubringer zum Eurovelo 6 am Doubs ist. Zumindest finde ich immer wieder Schilder, auf denen geschrieben steht âvers Eurovelo 6â mit einem schönen Europaflaggenzeichen. Manchmal steht auch eine Kilometerangabe dabei. Insgesamt dreiĂig Kilometer sind es bis zur Fahrradautobahn, die von Budapest bis zum Atlantik fĂŒhre, sagte mir jemand.
Irgendwann reiĂt der vordere Schaltzug. Keine MuĂe, den jetzt bei Wind und Wetter auszutauschen. BloĂ nicht stehenbleiben. BloĂ nicht auskĂŒhlen. Wind meist von vorne rechts. Neun GĂ€nge reichen eigentlich, merke ich. Schneller als zwanzig fahre ich auch abwĂ€rts selten wegen der KĂ€lte.
Der Regen lÀsst nach. Der Regen erstarkt. Der Regen klatscht mir ins Gesicht. Ich schwitze. Wohliges Komfortradeln geht anders. Jetzt bloà keinen Platten. Alle vier Kilometer ein Dorf ist-gleich BushÀuschen ist-gleich Notunterkunft.
Dann ein Rumpeln im SĂŒdwesten. DĂŒstre Wolke, schnell nĂ€her kommend. Gewitter um diese Jahreszeit? Gerade habe ich Saint-Hilaire durchquert. Rolle abwĂ€rts bis zur Bushaltestelle in Vennans. Noch etwa fĂŒnf Kilometer bis zum Doubs. Weltuntergang. Der frisch gestutzte Kastanienbaum, ein Wahrzeichen des Ortes, unterstreicht die Trostlosigkeit. Mein BushĂ€uschen wird dem Unwetter nicht standhalten. Es ist zur Wetterseite offen, hat Ritzen, innendrin ist alles nass vom Regen am Morgen.
Da kommt das Vordach eines nigelnagelneuen GebĂ€udes fĂŒnfzig Meter daneben gerade recht. Die Mairie, die Ortsverwaltung. Offen. Man begrĂŒĂt mich freundlich, bittet mich, den Regen im Wartebereich abzuwarten, nein, Zimmer gebe es in Vennans nicht. Aber in Saint-Hilaire sei eine GĂźte. ZurĂŒck berghoch. Die Pension in Laissey am Doubs sei noch zu. Aus der TweetosphĂ€re bietet mir Twitterfreund @RecumbentTravel an, ein Hotelzimmer im sieben Kilometer entfernten Marchaux zu spendieren. Da mĂŒsste ich ĂŒber eine NationalstraĂe gegen den Wind hinradeln und es wĂ€re ein Hotel an einem Autohof. Im Kopf wird es plötzlich hektisch. GĂ€ste gehen nachts ein und aus. LKW-Fahrer rĂŒlpsen und lĂ€rmen, zu viele Menschen auf zu kleinem Raum. Dennoch. AufwĂ€rmen, abtrocknen, freies WLAN. Schon gebe ich grĂŒnes Licht, will mich von @RecumbentTravel verwöhnen lassen, da klart der Himmel auf, wird blau und blauer und die Sonne kommt heraus. Ein eindeutiges Zeichen. Runter zum Doubs. Der Eurovelo 6 ist ein WohlfĂŒhlradweg. Kaum Steigung, gut beschildert. So schaffe ich es bis Baume-les-Dames, versuche unterwegs das ein oder andere Zimmer zu mieten. Vergeblich. Alles noch zu, vorsaisonbedingt. Der Camping von Clerval, direkt neben Baume-les-Dame lockt und entpuppt sich als reiner Wohnmobilplatz. Kein Platz fĂŒr Zelte, kein Platz fĂŒr Europenner. So lĂ€uft der Hase. Aber Claire in der Rezeption telefoniert fĂŒr mich etliche Hotels und Herbergen ab. Entweder sind sie noch zu, oder mit 89⏠je Nacht fĂŒr ein Zimmer mit Swimingpool zu teuer, oder sie sind belegt. Eine halbe Stunde lang telefoniert sie fĂŒr mich in die DĂ€mmerung und gibt und gibt nicht auf. Nebenbei managt sie die im FĂŒnf-Minuten-Takt einfliegenden Wohnmobilisten und -mobilistinnen. Ein einziger einsamer Becher Honig steht zum Verkauf in der Rezeption. Ein PostkartenstĂ€nder, jede Menge Prospekte und Flyer, und in der Ecke wartet ein KĂŒhlschrank darauf, mit Leckeis bestĂŒckt und angeschlossen zu werden.
Da, plötzlich, ein Zimmer, nicht weit, deux ou trois kilomĂštres Ă Baume-les-Dames. Claire zeichnet mir den Weg auf. BrĂŒcke, Kreisel, rue de la prairie, Schule, Kreisel, rue Victor Ernest oder Ernest Victor, monter, monter, monter (berghoch, berghoch, berghoch), links, zweites Haus aus Stein. Madame Ouillemin.
Gerettet. Perfekt. Aber. Gar nicht so einfach, das Haus zu finden. Auf dem Track, den Frau SoSo im vorigen Artikel gepostet hat, erkennt man die Verirrungen, ahnt man, wie ein Radler mit gelber Jacke durch die DÀmmerung Àchzte, und erst drei Begegnungen spÀter das heià ersehnte Zimmerchen fand.
Gerettet im Warmen war es dann wieder da, das kÀlterote Gesicht eines Fremden, ein, zwei Sekunden der Begegnung irgendwo auf langem Weg. Wie es ihm wohl geht?