Verloren zwischen all den Bergen. Kann ein Land bergiger sein als Spanien? Seit wie vielen Tagen radele ich nun durch Hochland, vorbei oder mitten hindurch durch steingewordene Riesensägen, Sierras. Valencia, ich erinnere mich, südlich von Valencia gab es Flachland. Und im Ebrodelta, aber sonstens in Spanien? Fehlanzeige. Nichteinmal für ein, zwei Kilometer radele ich auf ebener Strecke. Es gibt entweder nur bergauf und zwar so steil, dass ich in den ersten Gang schalten muss und mit beinahe Schrittgeschwindigkeit dahinächze, oder bergab mit dreißig, vierzig Sachen. Die Gegend ist dennoch wunderschön. Die große Olivenwüste wird mehr und mehr aufgelockert durch Getreidefelder, Gerste vor allem. Sattes Frühlingsgrün. Und da die Berge so unwegsam sind, dass man sie nicht landwirtschaftlich nutzen kann, haben sich bei den Gipfeln Wälder und Wildwuchs behaupten können.
Auf dem GPS sah es so aus, als sei es ein Klacks, von Arriate nach Ronda zu radeln. Die Straße führt neben der Bahnlinie, das heißt, sie kann nicht besonders steil sein, denn Bahnlinien sind selten steiler als drei, vier Prozent. Aber schon im verwinkelten quirligen Arriate wird mir klar, dass das nichts wird mit gemütlich hineinrollen in das Touristenstädtchen. Die Mittagszüge und Busverbindungen sind wohl gerade eingerollt. Überall Autos, die jemanden abholen oder bringen, und am Bahnhof stehen zwei Busse nebeneinander. Die Stimmung ist heiß, aggressiv. Man hupt. Hupt sich den Weg frei, strafhupt. Auf dem gepflasterten Gehweg ackere ich hinaus aus der Stadt. Die Landstraße folgt mitnichten der Bahnliniensteigung. Für die Bahn hat man Schluchten in den Felsen gehauen. Die Straße führt auf und ab. Nach 33 Kilometern endlich Ronda. Mittagsstill. Im Zickzack schiebe und radele ich hindurch. Erreiche die Fußgängerzone und erkenne an den Preistafeln vor den Cafés, dass dies eine Insel des Konsums sein muss. Wenn in Spanien Kaffee drei Euro kostet, dann hat der Tourismus seine Finger im Spiel. In der Tat viele Sprachen, viele Touristen, Engländer, Deutsche, Franzosen, allesamt mit Stadtplänen bewaffnet. Und ich irre umher, lasse mich treiben. Was gäbe ich jetzt um eine schöne Touristenkarte. Aber ich bin zu stur und zu faul, um mich zur Touristeninformation durchzufragen. Das Schicksal wird mich schon leiten, ach was, die einzige Straße, die nach Süden hinausführt und die ich nehmen muss, führt mich bis zur berühmten Schlucht über den Rio Tajo, bis zu diesem hektischen Kreisverkehr, der ewig den Verkehr verstopft, und hin zur vielleicht hundert Meter hohen Steinbrücke. Radler, Pferdekutschen und Menschentrauben, fünf Harleyfahrer, ich … jetzt kein Fahrrad am Bein. Offenbar kann man hinabsteigen zwischen die senkrechten Felswände und sich das Städtchen von unten betrachten. Weiß klebt es am Fels. Aber ich muss auf mein Radel aufpassen. Wo viele Touristen sind, ist nicht ausgeschlossen, dass sich auch Taschendiebe herumtreiben. So mache ich kleines En passant-Touriprogramm, blockiere für einen Moment den schmalen Gehweg auf der Brücke mit dem fetten Rad, während sich der Menschenstrom geradezu durch mich hindurchwälzt.
Dann raus. Verloren sitzt ein Junge am Straßenrand, hält lachend den Daumen raus, als ich an ihm vorbeifahre und ich mache lachend eine einladende Geste, komm auf den Gepäckträger. Schon drei Stunden sitzt er hier, ein Engländer, der seit fünf Monaten durch Spanien trampt, will nach Gaucín, etwa vierzig Kilometer Richtung Süden. Busse fahren erst wieder am Montag, sagt er. Er heißt Sei (gesprochen) und ich frage mich, ob man das Sigh schreibt.
Dann ein Carretera Montana-Schild. Das sind etwa zwei mal drei Meter große Tafeln, auf denen auf die Schwierigkeit der Strecke aufmerksam gemacht wird. Die Hauptstraße nach Algeciras ist auch so verdammt ruhig. Ich wusste, dass mit dieser Straße etwas nicht stimmt. Sie windet sich fünf, vielleicht zehn Kilometer weit berghoch, plötzlich bin ich auf über tausend Metern; das ist offenbar ein Markenzeichen der Carreteras Montanas, dass sie mindestens tausend Meter hinaufführen. Durchquere zahlreiche Dörfer, kaufe in einem winzige Laden in Atajate ein, radele auf und ab, ab und auf, erreiche Algatocín. Dort gibt es einen seltsamen Alles-Laden. Beim Eintreten denkt man zunächst, man befindet sich in einem etwa dreißig quadratmeter großen Lebensmittelladen, aber da führt ein Gang nach hinten, vorbei an Schinkenkeulen und Anglerbedarf und dann kommt man durch eine Haushaltswarenabteilung in die Spielzeugabteilung und am Ende weitet sich der Gang zu einer riesigen Halle, in der das Sortiment eines echten Supermarkts untergebracht ist und man kann sogar Reis und Getreide in großen 50 Kilo-Säcken kaufen.
Es würde mich nicht wundern, wenn ich hier auch ein passendes Schaltauge für mein Fahrrad finden könnte.
So schaffe ich es an diesem Tag doch fast noch bis Gaucín (die Hoffnung hatte ich kurz hinter Ronda fluchend aufgegeben). Kurz vor Gaucín öffnen sich die Berge und weit im Süden sehe ich einen markanten, dunkelgrauen Fleck, einen gigantischen Felsen. Ist das Gibraltar?
Herzklopfen. Kann doch nicht sein. Dennoch, was soll es denn sonst sein? Luftlinie kaum fünfzig Kilometer, südliche Richtung.
Auch mein Herz klopft heute ein bisschen schneller und ich hoffe, dass die letzte Etappe nicht zu heftig wird.
Gute Fahrt!
Oh. Jürgen. So nah.
Du schaffst es.
Sicher.
Hallo Jürgen,
auch wenn es ein harter Tag war – wie so viel andere vorher – so schaut es jetzt doch ganz gut aus, oder? Ich halte jedenfalls weiterhin die Daumen – ganz fest. Hoffentlich klappt es heute [Du bist jetzt wahrscheinlich schon lange unterwegs] ja.
Und fpr Gibraltar: lass’ die Affen bloß in Ruhe! Du weißt ja, wenn die aussterben, geht das britische Weltreich unter! 😉 Aber irgendetwas kann da nicht so ganz stimmen, scheint mir. Haben die Affen in Gibraltar noch nicht gemerkt, dass das schon längst passiert ist?
Mach’s gut, safe bicycling, und viel Spaß bei den Affen,
Pit
P.S. zum Thema Rad: es muss nicht jetzt sein, aber wenn Du wieder zurück bist, wuerde mich einmal interessieren, welche Übersetzungen Du so fährst und welchen Sattel Du hast.
Kaffee d-r-e-i- Euro, puh, wir haben nie mehr als einen bezahlt!
Und letztens sagte Einer, wow, mit dem Rad nach Gibraltar? Wo sich doch in Spanien ein Gebirge ans andere reiht … du bist schon ein zäher Bursche ;o)
hej, und wir werden deinen Jubelruf bald hören und grad krieg ich eine Gänsehaut …
möge jetzt aber auch wirklich alles, alles gut gehen!
herzlichst
Ulli