Der Genfer Flughafen nervt seit bald hundert Kilometern. Seit Nyon höre ich die Flieger ein- und ausfliegen im gefühlten Fünfminutentakt. Nachts formulierte ich einen Artikel über das kürzlich ausgerufene Anthropozän, das Menschzeitalter. Manchmal müsste man im Halbschlaf Gedachtes mitschreiben können. Der Artikel gipfelte jedenfalls darin, dass ja auch Biber massiv in ihre Umwelt eingreifen, indem sie Bäume fällen, Flüsse stauen und Burgen bauen. Das Biberozän. Alles ist doch Natur, faselte ich im Halbschlaf, also auch der Mensch mit seinem Lärm, seinem Schnell, seinem ‘Immer weiter, immer größer’. Ich war versöhnt.
Die gestrige Strecke war anpruchsvoll, sprich, es gab einiges zu klettern, schon auf dem Weg durch die Weindörfer hinein nach Genf. Und in Genf. Kilometerweit überholte ich einen Autostau von Besuchern des Autosalons. Gestern war der letzte Tag, erfuhr ich auf Twitter.
Die Stadt selbst? Ich nehme mir nicht viel Zeit, radele auf dem gut beschilderten Radweg vorbei an reichen und armen Leuten, wobei die Reichen zu überwiegen schienen. Überall Videoüberwachung und Glas und Limousinen und Pelzmäntel und Designerjoggingmode. Dann eine etwas verkommenere Gegend. Ein bisschen erinnerte die Radwegführung mich an den Süden Londons, die Docks, die engen Gassen, nur ohne Gestank. Drei Kerle lungerten auf dem Radweg und als ich langsam heranschaukelte, kam einer auf mich zu, Bonjour grinsend, ça va?, fragend, während die beiden anderen, wie die Raptoren in Jurassic Park, strategische Umzingelungspositionen einnahmen. Jetzt bloß nicht anhalten, bloß nicht in ein Gespräch verwickeln lassen, bloß nicht diese angetanzte Freundlichkeit mit einem Hallo, schön, dass ihr so lieb zu mir seid!, erwidern, Augen zu und durch. Tse. Genf.
Später, im westlichsten, letzten Zipfel der Schweiz, sehe ich mich von Bergen umzingelt und kann mir kaum vorstellen, dass ich da ohne größere Bergetappe durchkomme. Wenn der Mensch wollte und wenn es sich finanziell lohnen würde, könnte er die Berge einfach abtragen. Ein liebes langes Anthropozän lang Zeit dafür hätte er gewiss.
Die Radwegebauer der Via Rhôna und des Radwegs Leman-Mediterranée (Genfersee-Mittelmeer) haben großartiges geleistet und so schlängelte ich mich auf teils nigelnagelneuen Routen, die noch nicht im GPS-Track vermerkt sind und ruhigen Landstraßen durch die faltige Gegend entlang der Rhône. Ganz ohne Steigung ging es leider nicht, aber es war erträglich.
Falls ihr einmal die Strecke fahren wollt, zwei Tipps: fahrt die Rhône abwärts und dort, wo ihr zwischen dem “forte”-Radweg über die Landstraße und dem “sportif”-Radweg über einen geteerten Waldwg wählen könnt, nehmt die Landstraße :-).
Nach siebzig Kilometern finde ich nahe Chessenaz eine tolle Zeltwiese. Unten jault die Nationalstraße. Eine Kettensäge. Der Wind, der mich drei Tage lang begleitete, hat nachgelassen.
Nach Büroarbeiten im Schneidersitzbüro auf der Luftmatratze werde ich nun mal frühstücken. Einen schönen Wochenbeginn euch allen.
Boah, das war ja ein kleiner Krimi. Da hilft nur Augen zu und durch, ja.
Von der kleinen Großstadt ab in die Berge. Krasser Szenenwechsel!
Danke für diesen Platz auf deinem Gepäckträger!
(Und ja, Träume live mitschreiben zu können wünsche ich mir auch manchmal.)
Schließe mich SoSo an, lieber Jürgen: danke für’s Mitnehmen. Und weiterhin eine angenehme Reise,
Pit