Ubeda. Nie gehört, den Ortsnamen. Und nun stehe ich da im Wind an einer – naja, wie soll ich es nennen? – Steilküste wäre sicher das falsche Wort, denn ich bin mitten im Land, mitten in den Bergen und dennoch bin ich auf einer weiten Ebene oder in einem gewellten Hügelland, stehe am Rande eines weitläufigen Tals und schaue Richtung Südwesten auf eine wolkenverhangene Bergkette, die aussieht wie eine Säge. Sierra, das heißt Säge, sagte vor etlichen Tagen Stefan, der Schweizer Radler, den ich auf der Via Verde Val de Zafan getroffen hatte.
Die winzige Straße vor mir fällt steil ab, so steil, dass ich sie im Leben nicht in die umgekehrte Richtung fahren, äh, hochschieben, möchte. Oliven. Ewige Olivenhaine, wobei Hain auch das falsche Wort ist. Seit hundertfünfzig Kilometern das gleiche Bild. Diese graugrünen unheimlich knorzigen kaum drei Meter hohen Bäumchen im Abstand von vielleicht fünf bis zehn Metern verteilt über das wellige Land, das zugleich Gebirge ist, schiefe Ebene, Hochtal und Steilküste. Nur diese Bäume. Mit Fräsen wird die Erde rings um sie herum aufgelockert. Lehmbraun, sandig und wenn es regnet klebrig. Die verdrehten Stämme sind oft ziemlich dick, Manchmal stehen drei Bäume dicht beieinander, so dass man nicht genau erkennt, ob es einzelne Bäume sind, oder ein Baum, der ab der Wurzel drei Stämme bildet. Vermutlich gibt es so viele verschiedene Olivenpflanzarten, wie es Oliven gibt.
Ubeda ist schön, eine Stadt, voller alter Gebäude, Kirchliches und Parks und es scheint verdammt groß zu sein. Der Bus, der mich hierher gebracht hat, kurvte an zwei drei Ausfahrten an der Nationalstraße vorbei bis zur Ausfahrt Süd, bis zum großen Busterminal, ideal gelegen für mich, um schmerzfrei die Stadt Richtung Jaen zu verlassen.
Zwei Stunden zuvor sind wir in Alcaraz gestartet und haben unterwegs vielleicht vier oder fünf Zwischenstopps gemacht. Nahe Beas de Segura gab es sogar einen Flughafen. Ich weiß nicht, ob er noch in Betrieb ist, oder ob es sich nur um eine Art Zweibrücken auf spanisch handelt, also einen kleinstädtischen Flughafentraum, der mit EU-Geldern bis zur Pleite gefördert wurde und dann bumm.
Durch die getönte Scheibe des Busses das Land betrachten. Baustellen, und diese Weite auf dem teilweise wie ein Damm durch das Land führenden Schnellweg. hier radeln jetzt, oha, das flößt mir Angst ein, so dachte ich, als ich im fast leeren Bus döste, das Fahrrad unter mir im Gepäckraum, sogar die Taschen konnte ich aufgesattelt lassen, so viel Platz hatte der Bus. Zwei Hinterachsen und sooo lang.
Nun stehe ich also am Rand der Welt in Ubeda. Wenn ich jetzt die Straße hinunterrolle Richtung Rio Guadalquivir, werde ich nie wieder hier herauf können. Ein Teil meines Ichs liebäugelt einen der drei Busse nach Jaen zu nehmen, die noch heute in die sechzig Kilometer entfernte Stadt fahren, aber am ALSA-Terminal hatte man mir gesagt, ich müsse fürs Fahrrad eine Tasche für zwölf Euro kaufen, es verpacken, wohl weil die Busse kleiner sind oder einfach weil die Infrastruktur mit Regeln und Tasche und Tarifen da ist. Fünf Euro ich, zweiundzwanzig Euro das Radel wäre der Preis.
Ich mache Fotos. Ist das Schnee da drüben, zwanzig Kilometer weit auf der anderen Seite des Tals? Ein Landrover ächzt die Straße herauf. Ein Opa mit seinem Enkel läuft gutmütig auf das Kind einredend an mir vorbei. Ich habe Herzklopfen. Der Schlund ist beängstigend, die Weite und die ewigen Oliven, dann steige ich aufs Rad und rolle hinab.
Die Oliven nehmen kein Ende. Was, wenn ich bis Jerez durch solch eine Gegend radeln muss? Erst zehn Kilometer weiter, als ich den Rio Guadalquivir überquere wird mir etwas wohler. Und ich muss wieder raufradeln nach Jimena, wo ich auf eine Pension oder ein Hotel spekuliere. Im Aufwärtsradeln ist es nicht ganz so schlimm. Nebenbei sondiert der Blick Wildzeltmöglichkeiten. Alte Angewohnheit. Nichts. Wenn ich hier zelten will, muss ich in die Olivenhaine, muss ich in den lehmigsandigen hellbraunen Boden, der bestimmt eine Schlammschlacht garantiert, wenn es regnet, oder wenn das Bewässerungssystem eingeschaltet wird. Neben den Bäumen ragen schwarze Schläuche aus dem Boden. Wie am Tropf.
Jimena gegen halb acht. In einem Lebensmittelladen erklärt man mir, dass es im Ort keine Zimmer gibt, kein Hotel, kein Campingplatz. Die nächste Möglichkeit, sagt die Besitzerin mit einem Vielleicht auf den Lippen, sei acht Kilometer abseits in den Bergen oder in Mancha Real meine Richtung etwa fünfzehn Kilometer.
Müde kurbele ich Richtung Mancha Real, folge einem toten Stück Landstraße, das nach einer Begradigung zu einem Wirtschaftsweg degradiert wurde und baue das Zelt unter einem Olivenbaum auf. Unweit ist ein Regenauffangbecken. Frösche quaken. Mir ist schlecht. Ich hoffe, dass es nur die Nachwirkung der Busfahrt ist, das Geschaukel ging mir ziemlich in die Eingeweide.
So lange ist es her. Und doch als wäre es gestern gewesen.
Und nun, beim Lesen, ist alles wieder da.